In Deutschland gibt es weiter Handlungsbedarf
Ich habe mich nie als kampferprobte Feministin à la Alice Schwarzer gesehen. Warum? Nun, erstens bin ich 1971 geboren und die laute, wütende Frauenbewegung der 1960er und 1970er hatte bereits beachtliche Erfolge hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter erreicht. In den 1950ern waren Frauen noch massiv unterdrückt. Das gängige Bild: Hausfrau und Mutter. Ein Beispiel: Erst 1977 durften Frauen in Deutschland arbeiten gehen, ohne den Mann um Erlaubnis fragen zu müssen! Erzähle ich das heute jungen Menschen, blicke ich in verständnislose bis entsetzte Gesichter. Um diese festbetonierten Rollen aufzubrechen, musste man laut und manchmal sogar radikal sein. Und zweitens habe ich gelernt, dass politische Probleme häufig nur noch schwerer zu lösen sind, wenn man sie eskalieren lässt.
Trotz der Erfolge der Frauenbewegung haben und hatten Frauen in Deutschland nicht die gleichen Chancen wie Männer. Ich habe das am eigenen Leib erlebt: In meiner Lehre als Bankkauffrau schloss ich als eine der Besten ab – gefördert wurden weiter die Männer. Das hat mich geprägt. Ich hatte keine freie Wahl, obwohl ich gut war. So etwas will ich jüngeren Frauen mit meiner Politik ersparen. In Sachen Gleichberechtigung von Mann und Frau schneidet Deutschland im internationalen Vergleich immer noch schlecht ab und hat großen Handlungsbedarf.
Mit aller Kraft für Gleichberechtigung!
Beispiele gibt es genügend: Nur acht Prozent der Vorstände der 40 Dax-Unternehmen sind Frauen, 92 Prozent sind Männer. Einen weiblichen Vorstandschef sucht man in den größeren Firmen des Dax und MDax vergeblich. In nordischen Ländern ist der Anteil an Frauen in Führungspositionen dreimal so hoch. Jede dritte Frau in unserem Land hat in ihrem Leben Gewalt erfahren; das Armutsrisiko für alleinerziehende Eltern (meist Frauen) und ihre Kinder ist in Deutschland ungewöhnlich hoch. Frauen haben für die gleiche beziehungsweise gleichwertige Arbeit am Ende des Monats 21 Prozent weniger in der Tasche als ihre männlichen Kollegen. Das Ehegattensplitting führt dazu, dass Frauen deutlich weniger oder seltener arbeiten.
Ich bin felsenfest davon überzeugt: Damit Männer und Frauen endlich gleichberechtigt sind, müssen wir an die harten materiellen Folgen der Geschlechterunterschiede. In meiner Erwerbsbiografie war für mich immer klar: Heiraten und auf den Partner verlassen ist nicht. Ich setze mich heute mit aller Kraft dafür ein, diese materiellen Unterschiede abzuschaffen – in der Arbeitswelt, in der Rente, im Steuer- und Wahlrecht sowie in der Familienpolitik. Andere Parteien verweisen immer auf Vorbilder und die Nebelkerze „Wahlfreiheit“. Ich bin bereit, die Gesetze zu ändern, um so der Gleichberechtigung von Mann und Frau durch materielle Gleichstellung den Boden zu bereiten. Dafür trete ich konsequent ein. Nicht laut und wütend, aber mit all meiner Kraft.